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Zum Wohl des Kindes – Der Entzug der elterlichen Sorge

Dr. iur. Vanessa Duss Jacobi

Grundsätzlich steht die elterliche Sorge beiden Elternteilen zu – egal ob verheiratet oder nicht. Ist jedoch das Kindswohl in Gefahr, kann die elterliche Sorge einem oder beiden Elternteilen entzogen werden. Wie das vonstattengeht, welche Voraussetzungen dafür unbedingt vorliegen müssen und warum diese so streng sind, erklärt Familienrechtsanwältin Dr. iur. Vanessa Duss Jacobi. Im Berufsalltag beschäftigt sie sich hauptsächlich mit Scheidungen sowie Kindesunterhalt und dem damit verbundenen Thema Sorgerecht.

Die Anwältin studierte zunächst in Zürich Jura, war später Assistentin an der Universität Luzern und promovierte in Rechtsgeschichte und Rechtstheorie. Es folgten Anwaltspraktika auf einem Gericht, in der Advokatur und am Rechtsdienst des Regierungsrats des Kantons Basel-Landschaft sowie die Anwaltsprüfung. An der Universität Luzern koordinierte Dr. iur. Duss Jacobi den universitären Forschungsschwerpunkt, an der Universität Bern bildete sie sich zur Forschungsmanagerin weiter. Nach weiteren Tätigkeiten an der Universität arbeitete sie ab 2018 zunächst in einer kleineren Kanzlei und machte sich dann als Anwältin mit ihrer Kanzlei Lexpert§ in 4410 Liestal selbstständig. Noch immer ist die Familienrechtsexpertin an der Universität tätig – in einem Beratungsgremium zum Thema Corona ist sie für rechtliche Aspekte zuständig – hauptsächlich konzentriert sie sich jedoch auf den Anwaltsberuf.

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Dr. iur. Vanessa Duss Jacobi

Rechtsanwältin für Familienrecht

Welche Rechte und Pflichten sind mit dem Sorgerecht verbunden?

Das Sorgerecht ist von der Obhut zu unterscheiden. Bei der Obhut geht es um die tägliche Betreuung und Pflege des Kindes. Das Kind wohnt bei der Person, die die Obhut hat, wird von ihr betreut, ernährt, zur Schule gefahren etc. Die elterliche Sorge ist hingegen das Recht und die Pflicht, für das Kind zu entscheiden. Die Eltern entscheiden überall dort, wo das Kind das selbst noch nicht kann, da es in Bezug auf die spezifische Sache noch nicht urteilsfähig ist. Wer die elterliche Sorge innehat, entscheidet über Schul- und Berufswahl, religiöse Erziehung, medizinische Eingriffe usw. Zur elterlichen Sorge gehört auch das Recht, den Aufenthaltsort des Kindes zu bestimmen bzw. mit dem Kind an einen anderen Ort zu ziehen. Die elterliche Sorge umfasst also einiges mehr als die Obhut.

Wer bekommt nach einer Scheidung das Sorgerecht?

Bei der Scheidung müssen viele Dinge geregelt werden, sowohl zwischen den Ehegatten als auch in Bezug auf die Kinder. Denn eine ganze Familie wird auseinandergerissen, die Leben müssen also auseinandergeflochten werden. Hier braucht es Arbeit, Emotionen, aber auch rechtliche Regelungen. Bei den Kindern müssen Sorgerecht, Obhut und der Kindesunterhalt sowie die Ausgestaltung des persönlichen Verkehrs – die Besuchsrechte – des nicht obhutsberechtigten Elternteils mit dem Kind oder den Kindern geregelt werden.

Seit das Zivilgesetzbuch (ZGB) per 1. Juli 2014 geändert wurde, wird die gemeinsame elterliche Sorge auch für die Zeit nach der Scheidung angeordnet. Die Eltern üben seither die elterliche Sorge unabhängig von ihrem Zivilstand im Regelfall gemeinsam aus. Das Gericht oder die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) können die alleinige Sorge eines Elternteils anordnen, sie wird aber nur noch in ausserordentlichen Fällen nicht beiden Eltern belassen – und zwar, wenn die gemeinsame elterliche Sorge mit dem Kindeswohl nicht zu vereinbaren wäre. Mit der Heirat steht den Eltern die gemeinsame elterliche Sorge automatisch zu, nach der Scheidung im Regelfall ebenfalls (übliche Anordnung des Gerichts). Nicht erforderlich ist für die geteilte elterliche Sorge, dass beide Elternteile die Kinder gleich intensiv betreuen, also gleich viel Obhut haben. Auch ein Vater, der 100% arbeitet und eine Mutter, die 50% arbeitet, können die elterliche Sorge gemeinsam ausüben, selbst wenn die Mutter – wie bei 100% Erwerbstätigkeit des Vaters zu vermuten ist – die sogenannte überwiegende Obhut über das Kind innehat, es also bei ihr wohnt und hauptsächlich von ihr betreut wird.

Seit das Zivilgesetzbuch (ZGB) per 1. Juli 2014 geändert wurde, wird die gemeinsame elterliche Sorge auch für die Zeit nach der Scheidung angeordnet.

Nicht nur geschiedene, sondern auch unverheiratete Eltern können die elterliche Sorge gemeinsam ausüben. Üblicherweise wird eine vorgeburtliche oder nachgeburtliche Anerkennung des Kindes (Art. 260 ZGB) des Vaters durch Erklärung seiner Vaterschaft gegenüber dem Zivilstandsamt gemacht. Leben die Eltern zusammen (Konkubinat), üben sie die elterliche Sorge gemeinsam aus, was nur in Ausnahmefällen anders geregelt wird. Leben die Eltern nicht zusammen, kann die elterliche Sorge zu 100% demjenigen Elternteil übertragen werden, der auch die überwiegende Obhut innehat.

Möchten aber beide die elterliche Sorge ausüben, kann eine Erklärung über die geteilte elterliche Sorge gemacht werden, selbst wenn die Eltern nicht zusammen leben. Danach muss dann noch eine Erklärung über die Anrechnung der Erziehungsgutschriften (wer soll die Kinderzulagen respektive Ausbildungzulagen mit seinem Lohn vom Arbeitgeber ausbezahlt erhalten) erfolgen.

Wenn sich im Falle einer Scheidung ein Elternteil weigert, die elterliche Sorge anzunehmen, ist es möglich, bei der Scheidung das Sorgerecht einseitig einem Elternteil zu übertragen. Falls keine Scheidung ansteht und die elterliche Sorge einem Elternteil übertragen werden soll, kann bei der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) ein Antrag gestellt werden – dann müssen allerdings entweder beide Eltern einverstanden sein oder es muss ein Entzugsgrund gegeben sein.

Der Entzug der elterlichen Sorge – Ultima Ratio oder Druckmittel im Scheidungskrieg?

Bei unverheirateten oder geschiedenen Paaren kam die gemeinsame elterliche Sorge bis zum 1. Juli 2014 nur in Frage, wenn beide Eltern damit einverstanden waren, ansonsten wurde der Person mit der alleinigen oder überwiegenden Obhut auch die alleinige elterliche Sorge übertragen. Neu ist, dass das Gericht in einem gerichtlichen Prozess (bei einer Scheidung, einem Prozess auf Abänderung der Obhut oder von Kindesunterhalt) und die Kindesschutzbehörde (KESB) in Fällen, in denen die elterliche Sorge nicht im Rahmen einer Scheidung (neu) geregelt wird, die alleinige elterliche Sorge gegen den Willen des anderen Elternteils anordnen kann.

Im Zentrum steht beim Urteil eines Gerichts oder dem Entscheid der KESB immer das Kindeswohl. Wenn ein Antrag auf alleinige elterliche Sorge gestellt wird, sind diesem Antrag meist schon Gefährdungsmeldungen (Meldung über die Gefährdung des Kindswohls) an die KESB vorangegangen. Im Falle, dass dann gerade ein Gerichtsverfahren hängig ist, in welchem Kinderbelange geregelt werden, wird die Meldung an das Gericht weitergeleitet und das Gericht kann aufgrund des Kindeswohls die elterliche Sorge nur einer Person übertragen.

Der Entzug des geteilten Sorgerechts (oder der Sorgerechtshälfte eines Elternteils) ist ein sehr starker Eingriff in die Rechte der Person, da es um die Mitbestimmung über das Leben des Kindes geht – etwa medizinische Eingriffe und damit verbundene, hohe Kosten, lebensprägende erzieherische Massnahmen oder die Berufsbildung (Studium statt Lehre). Vorher war es mitunter der Fall, dass eine Person diese Entscheidungen alleine traf, die andere Person, da sie unterhaltsverpflichtet war, aber die Hälfte davon zahlen musste, da das Gesetz beide Eltern bei „nicht vorhergesehenen, ausserordentlichen Bedürfnissen des Kindes“ zur „Leistung eines besonderen Beitrags“ verpflichtet. Heute müssen ausserordentliche Umstände vorhanden sein, damit das Sorgerecht und die damit hergehenden Entscheidungsbefugnisse entzogen werden können.

Scheidungskriege werden oft mit allen Mitteln geführt. Als Druckmittel den Entzug der elterlichen Sorge anzudrohen, nützt also eigentlich nichts, da die gesetzlichen Vorgaben dafür sehr streng sind, ein Elternteil also nicht selbstmächtig die elterliche Sorge dem anderen entziehen kann. Wird ein Antrag auf alleinige Sorge gestellt (beim Gericht oder der KESB), wird dieser Antrag sehr genau überprüft.

Da ist der antragstellende Elternteil gut beraten, wenn er die Gefährdung des Kindswohls glaubhaft machen oder sogar belegen (beispielsweise Bilder von Misshandlungen oder dahingehende Zeugenaussagen vorlegen) kann.

Welche Voraussetzungen müssen für den Entzug des Sorgerechts gegeben sein?

Zu unterscheiden sind:

  • die ordentliche Entziehung von Amtes wegen durch die Kindesschutzbehörde
  • die vereinfachte Entziehung auf Antrag der Eltern aus wichtigen Gründen oder bei Einwilligung in eine Adoption des Kindes durch Dritte. Man kann sich also auch einig sein, dass man einen Entzug der elterlichen Sorge möchte. Hier ist ebenfalls die Kindesschutzbehörde zuständig.

Die Kindesschutzbehörde entzieht den Eltern die elterliche Sorge und überträgt sie einem Vormund wenn:

  • das Kindeswohl gefährdet ist,
  • mildere Massnahmen erfolglos geblieben sind oder von vornherein aussichtslos wären und
  • einer der folgenden Entzugsgründe vorliegt:
    • die Eltern sind wegen Unerfahrenheit, Krankheit, Gebrechen, Ortsabwesenheit, Gewalttätigkeit oder ähnlichen Gründen ausserstande, die elterliche Sorge pflichtgemäss auszuüben – das nennt sich Tatbestand des Unvermögens
    • die Eltern haben sich um das Kind nicht ernstlich gekümmert oder ihre Pflichten gegenüber dem Kind gröblich verletzt – das ist der Tatbestand der Unwilligkeit
    • beide Eltern stehen unter umfassender Beistandschaft oder sind minderjährig

Ist die elterliche Sorge bei geschiedenen Eltern – wie im Regelfall – geteilt und wird einem Elternteil die elterliche Sorge entzogen, wird diese in der Regel zu 100 Prozent dem anderen Elternteil übertragen.

Mildere Massnahmen müssen für den Entzug erfolglos oder aussichtslos sein. Wie sehen mildere Massnahmen aus?

Es gibt hier relativ viele Möglichkeiten, die von der KESB geprüft werden; oft sind diese temporär. Das Kind könnte für eine Weile fremdplatziert werden. Ein Elternteil kann die elterliche Sorge temporär alleine ausüben, beispielsweise wenn der andere Elternteil im Gefängnis sitzt und keine Entscheidungen für das Kind treffen kann. „Nur“ die Obhut kann vom einen auf den anderen Elternteil übertragen werden. Möglich ist auch, dass man zuerst das Ende einer Psychotherapie abwarten möchte.

Beide Eltern und das Kind werden dabei angehört. Diese temporären Lösungen sollten aber nicht der Regelfall sein, denn es sollte eine definitive Entscheidung geben.  

Wie kann der Entzug der elterlichen Sorge eingeleitet werden?

Zuständig für den Entzug der elterlichen Sorge ausserhalb von Gerichtsverfahren (in denen – auch – Kinderbelange geregelt werden) ist die Kindesschutzbehörde (KESB) am Wohnsitz des Kindes. Hier wird der Antrag gestellt, der begründet sein muss. Manchmal wird dieser Antrag in Verbindung mit einer Gefährdungsmeldung gestellt, d.h. einer Meldung, dass das Kindswohl gefährdet sei.

Diese Gefährdungsmeldung muss nicht vom Elternteil, sondern kann von fast jedem – zum Beispiel von der Schule oder vom Hausarzt, der blaue Flecken festgestellt hat – eingereicht werden. Die KESB beurteilt, ob es sich um eine ernst gemeinte Gefährdungsmeldung handelt oder nicht. Eine Gefährdungsmeldung der Schule mit dem Inhalt, das Kind habe Nasenbluten und sagt, der Papa habe es geschlagen, wäre ernstzunehmend; nicht so eine Verleumdung im Scheidungskrieg.

Sehr oft bringt aber ein Elternteil den Antrag auf den Entzug der elterlichen Sorge ein, wenn er bemerkt, dass die Kinder beim anderen Elternteil nicht ausreichend beaufsichtigt wurden oder von ihm kein Essen bekommen haben. Dann kann die Gefährdungsmeldung die Begründung für den Antrag darstellen.

Der Antrag wird auf Herz und Nieren geprüft, es werden rechtliche und tatsächliche Erwägungen zum Kindeswohl angestellt, die Parteien werden angehört und schlussendlich wird eine Entscheidung getroffen.

Wer kann den Entzug der elterlichen Sorge veranlassen?

Die Kindesschutzbehörde am Wohnsitz des Kindes handelt auf Antrag der Eltern oder eines Elternteils oder prüft die Verhältnisse aufgrund einer Gefährdungsmeldung eines Dritten. Geschieht es im Zuge eines Gerichtsverfahrens bei der Regelung von Kinderbelangen, ist das Gericht zuständig, den Entzug der elterlichen Sorge zu veranlassen.

Für den Entzug der elterlichen Sorge gibt es strenge gesetzliche Voraussetzungen, denn er ist ein ernstzunehmender Eingriff in die Rechte und Pflichten von Eltern. Dementsprechend stellt der Schweizer Gesetzgeber hohe Anforderungen, damit ein Sorgerechtsentzug durchgesetzt werden kann.

Nach welchen Grundsätzen wird hier entschieden?

Hier muss unterschieden werden, ob der Entzug nach einem gemeinsamen Antrag der Eltern geschieht, weil wichtige Gründe vorliegen, oder ob es sich um einen Entzug gegen den Willen der Eltern handelt.

Muss das Sorgerecht gegen den Willen der Eltern oder eines Elternteils entzogen werden – in dem Fall besteht weder ein Antrag der Eltern auf Entzug der elterlichen Sorge aus wichtigen Gründen, noch eine Einwilligung in eine Adoption – muss das Kindeswohl gefährdet sein. Wenn das der Fall ist, müssen zuerst mildere Massnahmen zum Schutz des Kindes geprüft werden und schliesslich muss einer der zuvor genannten Gründe – Unvermögen, Unwilligkeit, Beistandschaft/Minderjährigkeit – vorliegen.

Das sind strenge gesetzliche Voraussetzungen, denn der Entzug der elterlichen Sorge ist ein ernstzunehmender Eingriff in die Rechte und Pflichten von Eltern. Dementsprechend stellt der Schweizer Gesetzgeber hohe Anforderungen, damit ein Sorgerechtsentzug durchgesetzt werden kann.

Welche Auswirkung hat eine solche Massnahme auf die Rechte des Betroffenen?

Das Sorgerecht ist ein Entscheidrecht. Wer die elterliche Sorge nicht mehr innehat, kann nicht mehr mitentscheiden; ihm fehlt also das Mitbestimmungsrecht über Fragen der Erziehung, Ausbildung etc. Auch ist er nicht mehr der gesetzliche Vertreter, man benötigt seine Zustimmung z.B. zu medizinischen Eingriffen nicht mehr. Er hat kein Recht mehr, Kindsvermögen zu verwalten und verliert das Recht, den Aufenthaltsort des Kindes zu bestimmen. Er verliert also die Möglichkeit, auf die Geschicke des Erwachsenwerdens seines Kindes Einfluss zu nehmen.

Die Zahlungspflicht entfällt aber nicht. Auch das Umgangsrecht muss man trotzdem festlegen, denn der Elternteil hat Anspruch auf persönlichen Verkehr. Hier muss man abschätzen – wurde die elterliche Sorge entzogen, weil der Elternteil dem Kind gegenüber z.B. gewalttätig war, wird zu dem Zeitpunkt kein Besuchsrecht angeordnet werden. Wenn andere Umstände vorlagen, wird der persönliche Verkehr mit einem Besuchsrecht oder mit der Obhut während gewissen Zeiten (z.B. jedes 2. Wochenende und 3 Wochen Ferien pro Jahr) geregelt. Die Eltern haben die Pflicht, sich über die Kontaktformen zwischen dem nicht obhutsberechtigten Elternteil und dem Kind zu einigen.

Ob die Besuchsrechte, die auf dem Papier vereinbart wurden, dann wirklich durchsetzbar sind, hängt von den Eltern ab. Behörden und Gerichten sind in manchen Fällen die Hände gebunden, da sie Eltern zwar mit Polizeibegleitung dazu zwingen könnten, das Kind zum Besuchszeitpunkt zum anderen Elternteil zu bringen, das aber nicht im Sinne des Kindswohls sein kann, sondern das Kind traumatisiert. 

Wird die elterliche Sorge nur für ein betroffenes Kind entzogen oder für alle Kinder eines Elternteils?

Wenn die elterliche Sorge von Amtes wegen entzogen wurde, lag einer der Entzugsgründe vor. Dann gilt grundsätzlich für alle Kinder derselben Eltern (gemeinsam) oder dieses Elternteils (bei dem der Entzugsgrund vorliegt) ebenfalls, dass die elterliche Sorge entzogen ist (solange der Entzugsgrund nicht weggefallen ist) – sogar für Kinder, die noch nicht geboren sind.

Angenommen, beide Eltern verlieren das Sorgerecht: Was geschieht mit dem Kind?

Sollte beiden Elternteilen das Sorgerecht entzogen werden, so steht man vor dem Problem, wer sich um das Kind kümmert. Das Gesetz sieht deshalb vor, dass von der Kindesschutzbehörde ein Vormund eingesetzt wird. Dieser hat dann die Entscheidbefugnis, die zuvor von den Eltern geteilt wurde und entscheidet darüber, wer nun neu die Obhut über das Kind ausüben soll – die  Kinder werden dann in Heimen, bei Verwandten oder Pflegeeltern platziert.

Ist der Entzug endgültig oder kann das Sorgerecht wiedererlangt werden?

Grundsätzlich geht man davon aus, dass beide Eltern ihre elterliche Sorge ausüben dürfen, wenn das Kindswohl nicht gefährdet ist.

Mit einem gemeinsamen oder einem einseitigen Antrag an die KESB am Wohnort des Kindes ist es möglich, die elterliche Sorge für einen oder beide Eltern wiederzuerlangen, solange bei demjenigen, für den die elterliche Sorge beantragt wird – oder bei beiden im Falle der geteilten elterlichen Sorge – kein Entzugsgrund mehr vorliegt.

Auf diesen Antrag hin prüft die KESB, ob die Voraussetzungen für den Entzug noch gegeben sind. Wenn nicht, hört es das Kind und den Elternteil mit dem alleinigen Sorgerecht oder beide an und entscheidet im Sinne des Kindswohls über eine Wiedererlangung des Sorgerechts. Sind die Voraussetzungen für den Entzug bei einem Elternteil nicht mehr gegeben, kann man die Sorge also auch ohne Einverständnis des zweiten Elternteils wiedererlangen.

Was raten Sie Menschen, die fürchten, dass ein Elternteil das Wohl des Kindes gefährdet?

Das ist eine schwierige Thematik, die in der Regel zwischen den Elternteilen nicht angesprochen wird. Meistens nimmt ein Elternteil die Situation wahr, weiss aber nicht, wie er damit umgehen soll. Aber es gibt Fälle, in denen ein Elternteil sogar froh über eine Aussprache wäre, weil er komplett überfordert ist – hier würde sich ein Gespräch lohnen, um abzuklären, ob man das Sorgerecht auf gemeinsames Begehren auf einen Elternteil alleine übertragen kann. Dann gibt es ein vereinfachtes Verfahren.

Wenn ein Gespräch also noch Früchte tragen kann, ist das sicher der bessere Weg. Das Kind spürt natürlich auch, dass ein Elternteil anfängt, sich Sorgen zu machen. Viele Kinder nehmen eine Verteidigungshaltung ein und schützen den anderen Elternteil.

Ist ein Gespräch nicht möglich oder war es nicht zielführend, rate ich, Beweise für die Gefährdung des Kindswohls zusammentragen. Ein blosses Gefühl, dass etwas nicht stimmt, reicht der KESB in der Regel nicht. Man sollte auch das Kind befragen, im Umfeld Eindrücke zum Umgang des anderen Elternteils mit dem Kind holen und gegebenenfalls in der Schule nachfragen.

Hat man einige Beweise zusammengetragen, lohnt es sich meistens, sich von einem Familienrechtsanwalt beraten zu lassen. Dieser kann abschätzen, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für den Entzug des Sorgerechts gegeben sind und ob die Beweise dafür ausreichen. Wenn ja, kann ein Antrag an die KESB gestellt werden und hat auch Aussicht auf Erfolg.

Wie können Sie, als Anwältin im Familienrecht, Menschen bei dieser Thematik helfen?

Als Anwältin im Familienrecht habe ich Erfahrung: Ich weiss, wie man das Gesetz auslegen muss. Die Voraussetzungen für den Entzug des Sorgerechts stehen klar im Gesetz und sind sehr streng, die Rechtsprechung der Gerichte konkretisiert, wie das strenge Gesetz ausgelegt werden muss. Als Anwältin kann ich abschätzen, ob die Beweise ausreichen, damit der Antrag an die KESB Aussicht auf Erfolg hat. Auch bei der Stellung und Begründung des Antrags kann ich unterstützen. Den Elternteil, der das alleinige Sorgerecht beantragt, kann ich ausserdem vor den Behörden vertreten. An der Anhörung muss die Person aber selbst teilnehmen.

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Dr. iur. Vanessa Duss Jacobi

Rechtsanwältin für Familienrecht
in 4410 Liestal

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